Armut in der Schweiz: Lebensmittelabgabe neu (weiter)denken

660’000 Menschen sind in der Schweiz von Armut betroffen. Dem gegenüber stehen rund 2,8 Millionen Tonnen einwandfreie Lebensmittel, die jedes Jahr entsorgt werden.

Ein Teil dieser Überschüsse wird bereits umverteilt. Nicht erst seit der Corona-bedingten Einschnitte zeigt sich jedoch: Dieses System kann nur einen Teil des Bedarfs decken.

Die Lebensmittelabgabe 2.0 soll den Bezug von Überschüssen für bedürftige Menschen von lokalen Verfügbarkeiten entkoppeln. Sie ergänzt das bestehende System stationärer Abgabestellen und macht – zusätzlich zu den klassischen Spenden aus dem Detailhandel – Waren aus der Produktion und der Industrie zugänglich.

Mit einer dreimonatigen Prototyp-Phase testen wir die Akzeptanz bei Betroffenen und finden heraus, wie wir Zugänglichkeit, Warenauswahl und Zustellung sicherstellen können – auch dann, wenn das Projekt wächst. Für die Umsetzung dieses Prototyps dürfen wir auf die Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz, der Non-Profit-Organisation Food-Care Ostschweiz und der Stiftung Egnach zählen.

Der Prototyp in Kürze

Die Lebensmittelabgabe 2.0 stellt haltbare Warenüberschüsse für armutsbetroffene Menschen bereit. Wer Anrecht auf Unterstützung hat, erhält einen Zugang und kann gegen einen kleinen Unkostenbeitrag sein Lebensmittelpaket auswählen. In den Monaten von Dezember 2020 bis Februar 2021 können maximal 100 Haushalte alle zwei Wochen ein Paket bestellen. Der Versand erfolgt per Post.

Überblick zu Projektstand, Planung und Partnern

Das Sortiment umfasst haltbare Produkte, ergänzt durch lagerfähige Frischwaren wie etwa Rüebli oder Kartoffeln. Auch eine Grundauswahl an Hygieneartikeln ist denkbar.

Hintergrund: Wer braucht das und warum?

Das Umverteilen von überschüssigen, gespendeten Lebensmitteln wird klassisch in einem stationären Netz von Abgabestellen organisiert. Zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeitende leisten einen wichtigen Teil der vor Ort anfallenden Arbeiten. Diese Verteilung hat für viele Menschen einen hohen Wert: Nebst dem Hauptzweck, nämlich dem Erhalten von Lebensmitteln, auf die viele der Bezüger/innen dringend angewiesen sind, bietet sie Struktur und sozialen Austausch.

Allerdings stossen die Abgabestellen an natürliche Grenzen:

  • Sie haben begrenzte Kapazitäten. Wer eine Bezugskarte erhält, schätzt sich glücklich: Je nach lokaler Verfügbarkeit und Nachfrage kann sich die Wartezeit über Jahre erstrecken.
  • Sie sind nicht für alle verfügbar: Wer nicht mobil ist, sich Anfahrtskosten nicht leisten kann oder in einem Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis steht (Working Poor), ist potenziell durch Ort und Zeitfenster vom Bezug ausgeschlossen.

Weiter hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass das Prinzip der stationären Abgabe bei gesundheitlichen Gefährdungen nicht aufrecht erhalten werden kann: Aufgrund der Verordnung des Bundesrats zur Eindämmung des Coronavirus mussten Mitte März zum Beispiel die 128 Abgabestellen von Tischlein deck dich bis auf weiteres geschlossen werden.

Hier setzt die Lebensmittelabgabe 2.0 an: Sie soll das bestehende System der stationären Stellen ergänzen und überschüssige Waren auch unabhängig von Zeit, Ort und personellen Kapazitäten verfügbar machen, insbesondere angesichts steigender Armutszahlen. Gleichzeitig testen wir Prozesse, die auch dann funktionieren können, wenn vor-Ort-Abgaben verunmöglicht werden.

Partnerschaften

Die folgenden vier Akteure konnten wir bereits für die Zusammenarbeit gewinnen:

Weitere Partnerschaften sind in Verhandlung.

Stand der Finanzierung

Die drei Monate der Prototyp-Phase sind dank der Förderung durch die Stiftung Mercator Schweiz gesichert. Für einen weiteren Betrieb und einen Ausbau sind wir aber auf Unterstützung angewiesen. Haben Sie einen Hinweis oder einen Kontakt, der uns weiterhelfen kann? Schreiben Sie uns.

Produktionsüberschüsse oder Kontakte zu produzierenden Betrieben

Für dieses Pilotprojekt sind wir auf überschüssige haltbare Lebensmittel angewiesen, zum Beispiel:

  • Lebensmittel, die ohne Kühlung gelagert werden können und oft zu den Grundnahrungsmitteln zählen: Teigwaren, Reis, Konserven, Flocken, Müesli,…
  • Produkte, die vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum stehen und aufgrund der Umschlagzeit im Lager nicht mehr an Grossverteiler geliefert werden.
  • Produkte in nicht mehr aktuellen Gebinden oder Verpackungen, zum Beispiel durch Rebranding oder Saisonalität.
  • Produkte, deren Verpackung einen Fehler aufweist, beispielsweise Farbfehler, verschobene Schnitte oder Verschweissungen, falsche oder fehlende Deklaration. In diesem Fall brauchen wir von Ihnen die korrekten Angaben, damit wir die Waren etikettieren können.

Wir freuen uns über die Kontaktaufnahme von produzierenden Betrieben und Handel. Falls Sie Lebensmittel spenden möchten oder eine Empfehlung für uns haben: Schreiben Sie uns.