Reportage: Wo die geretteten Bananen trocknen

Schiefertafel vor dem Hofladen mit der Aufschrift: Gerettete Bananen nature & schokoliert

Mitte Mai haben die Autorinnen von kollektiF die Öpfelfarm im thurgauischen Steinebrunn besucht. Sie waren dabei den geretteten Bananen auf der Spur und wie es dazu kam, dass Roland Kauderer und sein Team neben regionalem Thurgauer Obst seit Kurzem auch Südfrüchte verarbeiten.

Die Linde steht ganz ruhig da, in der Mitte des Platzes, zwischen Hofladen, Scheune und Wohnhaus, hinter dem sich ein weiter Garten erstreckt. Ein Mann kommt zügig um die Ecke, läuft über den Kiesplatz, schaut zuerst in den Laden, dann zurück. «Auf meine Frau warte ich schon mein halbes Leben», sagt er. Ein einheimischer Pensionär, vielleicht, der hier oft einkauft.

Die Frau taucht auf; sie werfen einen Blick auf die Kreidetafel vor dem Hofladen der Öpfelfarm. «Gerettete Bananen?», fragt er und zieht die Augenbrauen hoch. «Ja, die Bananen haben sogar die frischen Thurgauer Erdbeeren von unserer Tafel verbannt», antwortet Roland Kauderer und lacht.

So sehen die getrockneten Bananenstängeli aus
So sehen die getrockneten Bananenstängeli aus

Mit seiner Familie betreibt Roland die Öpfelfarm in Steinebrunn, mitten im thurgauischen Mostindien. Auf ihrem Hof wachsen seit drei Generationen Obstbaumkulturen. Als er 1994 den Betrieb mit seiner Frau übernommen hatte, merkte er bald: Wir wollen wieder näher beim Kunden sein und brauchen einen Hofladen. Auch wenn das noch niemand sonst in der Region hatte. „Die Leute haben gelacht und gefragt, wer denn schon an so einen abgelegenen Standort komme“, erzählt er. Sein Schwager hat die Kunden dank Internet und Marketing gebracht.

Aber auch die Leute aus der Region kamen. Roland Kauderer wollte eigentlich alte Apfelsorten kultivieren und verkaufen. Die Ladenbesucher fanden aber ein anderes Produkt spannender: Die selbst getrockneten Apfelstückli der Schwiegermutter, die diese extra für die Eröffnung zubereitet hatte.

Zuerst gab’s nur Apfelringli aus Chile

Getrocknete Früchte waren früher ein Luxus für arme Leute. Schokolade war zu teuer, vor allem nach dem Krieg, also dörrte man Obst, das man eben zur Verfügung hatte und kaute auf den Stückchen herum, bis die Süsse heraustrat und man für einen Moment den Alltag vergessen konnte. Getrocknete Apfelstücke, Süssmost, alles Verarbeitete nach Grossmutter-Art lief extrem gut im Hofladen, erinnert sich Roland. “Du musst nur gut hinhören und bereit sein, das zu produzieren was die Leute kaufen wollen, und nicht das verkaufen zu wollen, was du produzierst. Das ist bis heute mein Leitspruch.“

Er begann zu recherchieren und fand Ende der 90er Jahre genau ein einziges Reformhaus, das getrocknete Apfelringli verkaufte – aus Chile. Er besuchte Dörrobst-Tagungen, beschaffte Maschinen und verarbeitete bald 800 Kilogramm Äpfel pro Tag. Seit 2005 sind es knapp 2 Tonnen täglich. Alles Ostschweizer Äpfel, nach Möglichkeit. Aber immer aus der Schweiz. Jonagold habe das beste Zucker-Säure-Verhältnis. Im Lager stehen aber auch Behälter, die mit Elstar angeschrieben sind. Ab und zu experimentiert er. „Äpfel sind nicht gleich Äpfel. Was man vorne in den Trockner schiebt, kommt hinten raus.” Sie trocknen auch Erdbeeren, Zwetschgen oder Birnen.

Ein Drittel der Bananen landet im Abfall

Im letzten Januar dann, erreichte ihn ein Mail von Olivia Menzi vom Verein Mehr als zwei. Ob er interessiert sei, gerettete Bananen zu trocknen. Er habe gezögert, erzählt Roland. Auch schon Johann Dähler, der Ananaskönig aus dem Thurgau, habe ihn einmal angefragt, ob er Ananas trocknen würde. „Ich wollte nie mit Südfrüchten arbeiten, das war immer klar für mich. Nur lokale Produkte interessierten mich.“ Er sieht nicht ein, warum man Früchte vom anderen Ende der Welt einfliegen muss und er wollte diesen Import auf keinen Fall fördern.

Bei den Bananen sieht es ein wenig anders aus. Rund ein Drittel der importierten Bananen landen im Abfall – die Grosshändler können sie nicht mehr verkaufen, weil sie vielleicht schon einzelne dunkle Flecken haben oder einfach übrig bleiben. Schweizweit werden jährlich 30’000 Tonnen Bananen entsorgt. Der Verein Mehr als zwei will diese Bananen wieder in den Kreislauf bringen. Einerseits, indem sie daraus neue Genuss-Produkte herstellen, andererseits indem sie den Konsumenten zeigen, was man aus reifen Bananen alles Wundervolles herstellen kann zuhause. „Als ich das verstanden habe, hat’s mich gepackt“, sagt Roland. Für ihn ist aber klar, dass er nur gerettete Bananen trocknet – sollte es einmal keine haben, gibt’s halt auch keine Stängeli.

Mitarbeiter der Öpfelfarm schneiden die Bananen in Stängeli und legen sie auf das Blech, das nachher in die Trocknungsmaschine kommt.

Der süsse Duft hängt in der Luft

Ein paar Gehminuten vom Hofladen, gleich vis-à-vis beim Bahnhof Steinebrunn, steht die Trocknerei. Im zweiten Stock schälen sechs Mitarbeiter vorsichtig die reifen Bananen und schneiden sie in acht längliche Stäbchen, die sie dann auf Gitter legen. Banane für Banane. Der süssliche Geruch hängt in der Luft. „Der ganze Raum voller Bananen. Das schmeckt doch wunderbar!“ sagt Roland und macht eine Pause, bevor er hinzufügt, „Ok, es schmeckt intensiv.“ Eine Frau im Hintergrund lacht. Sie stammt aus der dominikanischen Republik und arbeitet hier mit ihrer Tochter. Dass sie zur Abwechslung neben Äpfeln jetzt Bananen rüsten kann, gefällt ihr. „Die Resten schmecken mir viel besser“, sagt sie und grinst unter ihrer Schutzmaske.

„Heute überschreiten wir die erste Tonne verarbeiteter Bananen“, sagt Olivia Menzi vom Verein Mehr als zwei. „Wir hatten zu Beginn keinen Plan, was wir hier tun“, fügt sie hinzu. Die ersten Versuche fanden noch in ihrem eigenen Backofen statt. Sie hat lange gesucht nach einem Unternehmen, das sich auf das Bananen-Experiment einlässt. Das Vertrauen zwischen Roland und ihr war sofort da. Dies spürt man, wenn man die beiden beobachtet. Anpacken, ausprobieren und einfach loslegen – das liegt den beiden. Die Handarbeit erfordert Konzentration und Geschick – das Fruchtfleisch ist weicher als bei den frisch gekauften Bananen im Laden. Aber auch aromatischer. Und genau dieses Aroma wird beim Trocknen noch intensiver.

Am Feierabend schichtet er Bleche um

Im Raum nebenan sind die Trocknungsmaschinen in vollem Gang. Eine Mitarbeiterin schiebt die Bananenstängeli auf dem Hordenwagen in die Trocknungsmaschine. „Wir trocknen, anstatt zu dörren“, erzählt Roland. Anstatt wie beim Dörren mit der Raumluft zu arbeiten, kühlen sie die Luft zuerst runter. Dadurch entsteht Wärme, die sie wiederum verwenden für die Trocknung. Dieser Vorgang braucht bis zu fünfmal weniger Strom und die Früchte werden nie über 40 Grad erhitzt – so bleiben wertvolle Enzyme und Vitamine in der Frucht.

Jeden Abend um 21 Uhr, quasi in der Hälfte seines Feierabends, steigt Roland auf sein Velo und fährt in die Trocknerei. Dann schichtet er die Bleche um. Die trockenen nach oben, die feuchtesten nach unten. „Die trockene Luft muss durch die Früchte hindurch. Je dichter sie liegen, desto mehr Feuchtigkeit entzieht man ihnen.“ Nach ungefähr eineinhalb Tagen sind die Bananenstängeli trocken.

Der Bananenkönig vom Thurgau

Zurück im Hofladen stehen drei verschiedene Säckchen mit getrockneten Bananenstängeli in den Gestellen. Neben der Natur-Variante gibt’s auch zwei Schoggi-Versionen. Die Bäckerei Mohn aus Sulgen überzieht die getrockneten Bananenstängeli mit feinster Schokolade. Die Milchschokolade stammt von Lindt, die vegane Version mit dunkler Schokolade von Felchlin. „Als ich letzthin in einem anderen Hofladen war, lagen da drei Bündel reife Bananen“, erzählt Roland. Die Besitzerin habe ihm gesagt: „Nimm doch die noch mit“. Vielleicht ist er ja schon bald bekannt als Bananenkönig vom Thurgau.

Dieser Artikel wurde urspünglich bei kollektif.ch publiziert: hier gehts zum Artikel als pdf.


Zum Projekt und den Produkten: mehralszwei.ch/banane