Schlussbericht: Prototyp Lebensmittelabgabe 2.0

Wir verschwenden in der Schweiz jährlich rund 2,8 Millionen Tonnen noch geniessbare Lebensmittel. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen arm, aktuell rund 660’000 Personen. Das Pilotprojekt der Lebensmittelabgabe 2.0 hilft dabei, Menschen in Armut unabhängig zu machen von Öffnungszeiten und Kapazitäten der stationären Abgabestellen.

Der vorliegende Schlussbericht wurde im Rahmen der Förderung durch die Stiftung Mercator Schweiz erstellt.

1. Eckdaten

  • Dauer: 1.12.2020 bis 28.02.2021
  • Versände: 7 Bestell- und Versandläufe, 160 versandte Pakete insgesamt
  • Teilnehmende: 166 registrierte Haushalte, 77 mit mindestens einem Bezug
  • Bezüge: 1 bis 5 Bezüge pro Haushalt
  • Verwertete Lebensmittel: 1600 kg via Paketversände
    → weitere 11.5 Tonnen durch entstandene Verbindungen und deren Vermittlung an karitative Partnerorganisationen

2. Über das Projekt

Das Projekt Lebensmittelabgabe 2.0 will Lebensmittelüberschüsse zum Verzehr zugänglich machen und damit vor der Entsorgung bewahren. Jährlich werden in der Schweiz 2,8 Millionen Tonnen geniessbare Nahrung vernichtet. Die Gründe dafür sind vielfältig: Überproduktion, Änderungen in Vertrieb und Verpackung, gesundheitlich unbedenkliche Verarbeitungsfehler, fehlende Netzwerke zur Verwertung von Überschuss. Unabhängig davon ist die Verschwendung von Lebensmitteln eine hochgradige Belastung für Umwelt und Ressourcen.

Ein beliebter Ansatz ist, einen Teil der überschüssigen Waren armutsbetroffenen Menschen zukommen zu lassen. Das bestehende System weist jedoch Lücken auf: Nicht nur die allgegenwärtige Beschämung von Bedürftigen hindert viele daran, eine Abgabestelle aufzusuchen und Lebensmittel zu beziehen. Auch die enge zeitliche Begrenzung der Bezugszeiten, mangelnde Mobilität, gesundheitliche Einschränkungen und die Kapazitätsgrenzen der jeweiligen Stellen sind Hürden, für Aussenstehende meist unsichtbar.

Die Krise rund um COVID-19 und der Shutdown von März bis Mai 2020 haben die Schwächen der bisherigen Umverteilung offenbart: Wenn die stationären Abgabestellen nicht funktionieren können, findet die Verwertung der Waren nicht statt und die darauf angewiesenen Menschen gehen leer aus.

Eine dezentrale Ergänzung zu den bestehenden Angeboten, unterstützt durch Technologie für die Zugänglichkeit und Kommunikation, hilft nicht nur jenen, die bis anhin durch die Maschen fallen. Sie erhöht auch massiv das Potential, einwandfreie Lebensmittel ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen und die Ressourcen zu nutzen, die in deren Produktion, Verarbeitung und Logistik geflossen sind.

Im Rahmen der Ideen-Werkstatt «Lehren aus Corona» haben wir die Situation analysiert und einen Lösungsansatz entwickelt, der die Lebensmittelabgabe in der Schweiz auf vergleichbare Krisensituationen vorbereitet – und sie auch unter sogenannten «normalen» Umständen besser funktionieren lässt, als sie es bisher tut.

Mehr erfahren zur Ideen-Werkstatt der Stiftung Mercator Schweiz

2. Meilensteine

Phase I: Ausschreibung und erster Versand

Im Rahmen der Ausschreibung während der Mercator-Workshops hatten bereits 126 Familien Interesse am Angebot bekundet. In einem zweiten Schritt haben wir diesen Stamm an Erstkontakten darum gebeten, weitergehende Daten zu erfassen, die für eine operative Abwicklung nötig sein würden. Gleichzeitig haben wir ein Formular für neue Interessentinnen und Interessenten erstellt.

Die registrierten Personen erhielten via E-Mail die folgenden Informationen:

  • Inhalt des Pakets als Liste: Produkt, Gebindegrösse, Haltbarkeit
  • Inhalt des Pakets als Bild
  • Informationen zu Bestellprozess, Unkostenbeitrag und Zahlung via Twint

Anhand der eintreffenden Bestellungen wurden die Versandlisten zusammengestellt und an die Schweizerische Post übermittelt, die uns als Logistikpartner die Frankatur zur Verfügung gestellt hat.

Am 15. Dezember schliesslich haben wir die ersten 28 Pakete konfektioniert und zum Versand an die Post übergeben.

Phase II: Erhöhung der Menge, Anpassung Paketgrösse

Basierend auf den Erfahrungen aus dem ersten Versandlauf und der erhobenen Feedback-Umfragen bei den Empfängerinnen und Empfängern haben wir im Januar die Versandmenge von 28 auf 50 erhöht.

Aufgrund der Rückmeldungen und der Kosten-Nutzen-Analyse haben wir die Paketgrössen von zwei Varianten auf eine reduziert. Die fortan angebotenen Pakete haben ein Gewicht von 8 bis 10 Kilo. Die grosse Mehrzahl der Empfänger/innen favorisiert diese Grösse.

Phase III: Upgrade Bestellvorgang, Erweiterung Partnernetzwerk

Im Februar haben wir den Prozess soweit optimiert, dass wir ihn auf eine Formularlösung migrieren konnten. Damit war es den ausgewählten Empfänger/innen möglich, nach Bedarf zu bestellen, solange sie ihre Bestellung und Zahlung des Unkostenbeitrags rechtzeitig vor dem wöchentlichen Versandttag abgeschlossen haben.

Einträge in die «Warteliste» konnten wir inzwischen fast in Echtzeit berücksichtigen und auch spät Registrierten noch ein Paket anbieten, da von den ursprünglich eingeschriebenen Haushalten nicht alle bestellt haben (z.B. aufgrund von Allergien, Produkte nicht geeignet o.ä.).

Weiter stehen wir im Kontakt zu den etablierten Organisationen im Bereich der karitativen Lebensmittel-Umverteilung. Drei davon stellen uns Waren für die anstehenden Versände zur Verfügung und sind bereit, über eine formelle Zusammenarbeit zu sprechen, falls das Projekt weiter verfolgt werden kann.

4. Ziele und Erreichungsgrad

Angebot testen

Aus den Rückmeldungen: «Es war toll und schön, dass auch Bioprodukte drin waren. Qualität ist wichtig. Ich danke euch von Herzen für diese Möglichkeit. Krankheitshalber schon viele Jahre in der Fürsorge und ans Haus gebunden, ist es eine Freude, so ein Paket zu bekommen. Hilft mir sehr.»
Zahlreiche Gespräche und Rückmeldungen zeigen: Das Angebot füllt eine Lücke, nicht nur unter den ganz besonderen Bedingungen einer Pandemie, sondern generell. Die Akzeptanz ist grundsätzlich hoch, trotz Unkostenbeitrag an Konfektion und zusätzliche Logistik.

Prozesse testen

Innerhalb der drei Monate Prototyp-Dauer haben wir einen grundlegenden Prozess entwickelt, der funktioniert. Abhängig von den Rahmenbedingungen können die Basis-Abläufe mit geringem Aufwand erweitert oder angepasst werden.

Skalierung testen

Die Skalierung auf der Prozessebene konnten wir grundsätzlich testen (vgl. Punkt 2). Für die gewünschte Skalierung in der Menge konnten wir den Produzentinnen und Produzenten mit der Dauer von drei Monaten nicht genügend Vorlauf geben. Bis zu einem gewissen Grad sind karitative Organisationen in die Bresche gesprungen (vgl. Ziffer 3, Phase III). Unabhängig davon wächst das Netzwerk rund um das Projekt weiter und zeigt uns, dass das gewünschte Wachstum für die Verwertung von Überschüssen möglich ist.

Weitere karitative Partner finden

Dieses Ziel hatten wir uns nicht formell gesetzt, da vor dem Launch des Prototyps kein tragfähiger Kontakt zustande gekommen war. Mit dem Startschuss zur Umsetzung sind konstruktive Gespräche möglich geworden, was wir als grossen Erfolg werten. Nicht zuletzt soll die Lebensmittelabgabe 2.0 kein Ersatz für die bestehenden Strukturen sein, sondern eine Ergänzung. Es versteht sich von selber, dass sie infolgedessen nicht im luftleeren Raum stehen kann.

Budget

Das veranschlagte Budget wurde eingehalten, Verschiebungen gegenüber dem Plan gab es bei Logistik und Konfektion.

6. Ausblick

Der Prototyp zeigt: Der Bedarf nach einer dezentralen Struktur in der Umverteilung von Lebensmittel-Überschüssen ist real. Der Ausbau des Projekts würde einerseits mehr Verwertung und eine bessere Abdeckung für Unterstützung Armutsbetroffene leisten. Andererseits stellen wir fest, dass aus einer solchen Plattform auch ein zusätzlicher Grad an Vernetzung und Wissen zwischen bestehenden Akteurinnen und Akteuren entstehen kann, der wiederum die offensichtlichen Effekte skaliert.

Aus den Gesprächen mit interessierten Produzenten, potentiellen Partnerorganisationen und auch unseren Ansprechpartnern bei der Post hat sich gezeigt, dass ein regionaler Ansatz für die Weiterführung sehr vielversprechend ist:

  • Regionale Netzwerke von Produzenten können ihre Überschüsse effizient abgeben.
  • Die Logistik kann via Briefpost-Infrastruktur die grossen Verteilzentren umgehen und ermöglicht so bessere Konditionen.
  • Bei einer regionalen Verteilung können auch unempfindliche Frischwaren aus der Landwirtschaft berücksichtigt werden.
  • Städte und Gemeinden können aktiv und zielgerichtet darauf hinwirken, die Situation ihrer Bevölkerung am oder unter dem Existenzminimum zu verbessern.

In den vergangenen Wochen haben sich Gespräche mit einer potentiellen Partnergemeinde intensiviert, die Interesse an einer Pilot-Durchführung geäussert hat. Wir prüfen die Option, eine zweite Testphase mit regionalem Fokus durchzuführen.

7. Danksagung

Die Durchführung dieses Prototyps wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung der folgenden Partnerorganisationen:

Stiftung Mercator Schweiz
Die Unterstützung durch die Stiftung Mercator durch die Arbeit im Rahmen des Ideen-Labors, die finanzielle Beteiligung und das Bereitstellen von von Coaching hat es erlaubt, diesen Prototyp zu realisieren.
Stiftung Mercator Schweiz

Food-Care Ostschweiz
Die kurzfristige Beschaffung der Ware wäre ohne die uneingeschränkte Unterstützung von Food-Care nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank auch für das zur Verfügung stellen von Lager- und Arbeitsraum sowie Logistik-Kapazitäten.
Food-Care Ostschweiz

Die Post
Die Frankatur für den Versand der Lebensmittelpakete wurde von der schweizerischen Post gesponsert. Ebenfalls durften wir von regelmässigem Coaching und Sparring zu Fragen der Logistik profitieren.
Die Post

Superloop Innovation
Das unterstützende und herausfordende Coaching durch Superloop Innovation sowohl während des Mercator Ideen-Labors als auch während der Durchführung hat uns ermöglicht, das Projekt ohne blinde Flecken stets zu verbessern.
Superloop Innovation

Produzierende Betriebe und andere Organisationen
Einige Partnerorganisationen haben uns schon während dieser kurzen Zeit mit Produkt- und Materialspenden unterstützt, auch ihnen gebührt unser herzlicher Dank:

  • Öpfelfarm, Steinebrunn TG
  • diverse karitative Organisationen (keine Nennung gewünscht, da noch keine formalisierte Zusammenarbeit)

Weitere aus dem Projekt entstandene Kontakte haben uns bereits in dieser kurzen Zeit ermöglicht, zusätzliche Warenüberschüsse zu vermitteln und den Grundstein für eine weitere Zusammenarbeit zu legen:

Gerne stellen wir interessierten Personen und/oder Organisationen den Schlussbericht als pdf inkl. Anhängen zur Verfügung. Hier finden Sie unsere Kontaktinformationen.