Lebensmittel entsorgen ist wirtschaftlicher, als sie zu spenden

Wie absurd ist es, im Jahr 2021 daran festzuhalten, dass Lebensmittel zu entsorgen wirtschaftlicher sein soll als diese zu spenden – noch dazu nach über 12 Monaten Pandemie und den daraus resultierenden Armutszahlen? Der Bundesrat lehnt es ab, finanzielle Anreize gegen Foodwaste zu schaffen und sieht seine Aufgabe darin erfüllt, zu sensibilisieren.

Am 22. September 2020 hat der Ständerat mit 19 zu 17 Stimmen (2 Enthaltungen) eine Motion von Peter Hegglin angenommen. Nicht zu früh freuen: Die Grosse Kammer hat das Geschäft am 1. März 2021 abgelehnt. Dem voran ging unter anderem ein Votum von Bundesrat Ueli Maurer, das deutlich zeigt: Am Status Quo soll sich bloss nichts ändern.

Was die Motion von Peter Hegglin verlangt

«… 100 000 Tonnen weggeworfene unverdorbene Lebensmittel, das ist zu viel. Mit meiner Motion wollte ich deshalb den Bundesrat beauftragen, Anreize zu schaffen und eine Regelung im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer einzuführen, mit der die Abgabe von Lebensmitteln an gemeinnützige, steuerbefreite Organisationen steuerlich vorteilhafter wäre, als die Lebensmittel wegzuwerfen.

Mit einem steuerlichen Anreizsystem soll die Produktspende von noch konsumfähigen Lebensmitteln wirtschaftlich mindestens gleich interessant, wenn nicht sogar interessanter sein als die Entsorgung.

Heute werden in der Schweiz geschätzte 10 000 Tonnen Lebensmittel gespendet und an Armutsbetroffene verteilt. Mindestens weitere 100 000 Tonnen aus dem Detailhandel und weitere Mengen aus dem Grosshandel und der Verarbeitung würden sich laut aktuellen Schätzungen für das Spenden eignen. Das Potenzial wäre also riesig.

Dass nicht mehr gespendet wird, hat verschiedene Gründe:

  • mangelndes Wissen darüber, welche Lebensmittel sich eignen,
  • zusätzlicher Aufwand für Sortierung, Verpackung, Logistik und
  • je nachdem Kühlung.

Administrativ ist es für einen Hersteller oder Händler meistens einfacher, Lebensmittel wegzuwerfen, als sie zu spenden. Auch wirtschaftlich ist Wegwerfen lohnender als Spenden.»

Der Bundesrat verkennt die Realität

Für das Ziel, bis 2030 unsere Lebensmittelüberschüsse zu halbieren, braucht es alle. Auch wenn niemand absolut sagen kann, welche Lösung unter dem Strich am meisten bringt und am sinnvollsten ist: Die Stellungsnahme des Bundesrats ist einfach nicht korrekt und stimmt mich sehr nachdenklich.

Bundesrat Ueli Maurer sagt konkret:

«Es sind eigentlich alle sensibilisiert, denn in der Lebensmittelindustrie oder im Detailhandel kann es sich niemand mehr leisten, Lebensmittel fortzuwerfen. Damit ist die Sensibilität eigentlich gegeben. (…) Ein steuerliches Element ist aus unserer Sicht nicht notwendig. Ich bitte Sie also, die Motion nicht anzunehmen.»

Zur Motion und der Stellungsnahme des Bundesrats

Die echte Welt sieht anders aus

Lassen Sie mich Ihnen deutlich widersprechen: Nein, Sensibilisierung reicht nicht. 

Der Detailhandel und die Lebensmittelindustrie entsorgen täglich Tonnen von einwandfreien, geniessbaren Lebensmitteln oder führen diese der Tierfütterung/der Biogasanlage zu. Ich sehe das regelmässig mit eigenen Augen, arbeite mit meine eigenen Händen beim aussortieren mit – jede und jeder, die/der etwas zum Thema sagen will, sollte das einmal gemacht haben.

Es gilt, was für alle komplexen Probleme gilt: Man kann natürlich daran glauben, dass es sich durch wegschauen und ausharren irgendwie lösen wird, also durch «Freiwilligkeit und Eigeninitiative», wie man das in der Politik gerne nennt. Der Schwachpunkt an dieser Strategie ist einfach: Das wird nicht passieren.

Wie Lösungsansätze aussehen könnten, zeigt Frankreich, hier an einem aktuellen Beispiel in Marseille:
2400 Tonnen Lebensmittel gespendet statt entsorgt